Lou Reed und die Venus im Pelz

Aubrey Beardsley, Wikimedia Commons (gemeinfrei)
Aubrey Beardsley, Wikimedia Commons (gemeinfrei)

Severin, down on your bended knee

Taste the whip, in love not given lightly

- The Velvet Underground: Venus in Furs -

 

1870 veröffentlichte Leopold von Sacher-Masoch seine sadomasochistische Skandalnovelle Venus im Pelz, die dem Masochismus wenig später seinen Namen gab. Der aus einem slawischen Adelsgeschlecht stammende österreichische Schriftsteller beschreibt darin die Liebes- und Leidensgeschichte des devot-masochistisch veranlagten Severin von Kusiemski.  In einem Kurort in den Karpaten trifft Severin auf die junge und schöne Witwe Wanda, die ihn an das Bild einer griechischen Venus im Pelz erinnert, von dem er von Kindheit an fasziniert ist.

Severin beginnt, um seine Angebetete zu werben, bittet sie sogar, seine Frau zu werden, doch Wanda lehnt ab. Schließlich willigt sie jedoch nach langem Bitten und Flehen ein, stattdessen seine Herrin zu werden und macht Severin zu ihrem hörigen Sklaven Gregor. Wanda erfüllt Severins Wünsche nach Unterwerfung, despotischer Herrschaft, psychischer und physischer Qual, wobei sie auch immer wieder als seine feinfühlige Geliebte auftritt, und ihren ergebenen Liebhaber damit in ein aufreibendes Wechselbad der Gefühle stürzt. Doch Wandas Umgang mit anderen, teils dominant veranlagten Männern macht Severin mürbe. Den sadistischen Höhepunkt seiner Erniedrigungsodyssee bildet schließlich die brutale Auspeitschung durch Wandas griechischen Liebhaber. Severin kehrt Wanda den Rücken und reist 'geheilt' auf das Gut seiner Familie zurück. Dort angekommen wechselt der ehemalige Sklave in die Rolle des dominanten Herrn, da er eine gleichberechtigte Beziehung zwischen Mann und Frau für unmöglich hält, solange keine gesellschaftliche Gleichstellung der Geschlechter erreicht ist.

Neben diversen Verfilmungen und Bühnenadaptionen inspirierte der Stoff 1967, nahezu einhundert Jahre nach Erscheinen der Novelle, auch Lou Reed und seine New Yorker Art-Rock-Band The Velvet Underground zu dem Titel Venus in Furs. Der Song ist auf dem von Pop-Künstler Andy Warhol produzierten Debütalbum der Band The Velvet Underground and Nico (das berühmte Bananen-Cover) zu finden.

John Cales elektrische Viola erzeugt das unverkennbare Knallen einer Peitsche, für das Nicos Tamburin und Maureen Tuckers Drums den unbarmherzigen Rhythmus vorgeben. Dazu erzählt Lou Reed vor der Klangkulisse seines eigenwilligen Gitarren-Drones in seinem unvergleichlichen Sprechgesang von Severins Unterwerfung. Glänzende Lederstiefel, Hermelin-Pelze und die züngelnden Peitschenriemen sind sein Fetisch, während seine Herrin fordert: »Taste the whip, now bleed for me«.

Schon ihren Bandnamen The Velvet Underground verdankt die Gruppe um den Literaturwissenschaftler Reed und den studierten Bratschisten Cale einem gleichnamigen Enthüllungsbuch über die Verbreitung bizarrer Sexualpraktiken und Sadomasochismen in der amerikanischen Mittelschicht. Schwarze Bühnenoutfits und an SM-Fetische erinnernde Accessoires wurden zum Markenzeichen der bewusst distanziert auftretenden Avantgarde-Band. The Velvet Underground wurden mit ihrer düsteren, zynischen Attitüde zum Kontrapunkt zum friedensbewegten Bunt der Hippie-Bewegung und zum Wegbereiter für skeptizistische Strömungen wie Punk, Industrial und Alternative.

Unter der Obhut Andy Warhols und im schillernden Klima der Factory konnten The Velvet Underground nicht nur ihren experimentellen, von monotonen Drums, Kakophonien und Dissonanzen geprägten Sound entwickeln, sondern kamen auch in Kontakt mit Vertretern der Underground-Szene, die sie in ihren Songs portraitierten. Reed und Cale machten Warhol-Musen und Factory-Superstars, Stricher, Huren, Transvestiten und Dominas zu den Protagonisten ihrer gesellschaftskritischen aber wertfreien Erzähl-Lyrics. Erstmals hielten kontroverse Themen wie Prostitution, die Schattenseiten des Ruhms, Drogensucht, Trans- und Homosexualität sowie Sadomasochismus Einzug in die Pop- und Rockmusik.

Im konservativen Klima der USA waren The Velvet Underground, die sich auf das literarische Erbe der Beat-Literaten (Ginsberg, Burroughs, Kerouac) und Jean Genets beriefen, eine Ausnahmeerscheinung. Ihre Songs behandelten gesellschaftliche Tabuthemen in provokanter Sprache und drastischen Bildern und schufen einen in der populären Musikgeschichte kaum je erreichten Sozialrealismus von literarischem Rang.

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