Kunst-Pornos von Belle de Jour bis Nymphomaniac - Teil 1: Belle de Jour & Der letzte Tango in Paris

Felicien Rops, Wikimedia Commons (gemeinfrei)
Felicien Rops, Wikimedia Commons (gemeinfrei)

Anlässlich der Filmpremiere von 50 Shades of Grey soll es in meiner neuen Blogserie um skandalträchtige Autorenfilme gehen, denen der diffizile Balance-Akt zwischen anspruchsvoller Unterhaltung und bildhafter Erotik gelingt. Filme, die in ihrer Bildsprache oft weitaus drastischer und unverblümter daher kommen, als der gehypte Softporno aus Hollywood, deren Plots tatsächlich mit bestehenden Tabus gebrochen haben und die trotzdem oder gerade darum großes intellektuelles Kino sind und zurecht zu den Klassikern der Filmgeschichte zählen.

Beginnen wir unseren Streifzug durch die Geschichte des erotischen Kinos in den 1960er Jahren mit Belle de Jour und Bernardo Bertoluccis Der letzte Tango in Paris.

Belle de Jour - Schöne des Tages (1967)


1967 verfilmt der spanische Regie-Exzentriker Luis Buñuel mit Belle de Jour den gleichnamigen Roman des französischen Schriftstellers Joseph Kessel mit Catherine Deneuve und Michel Piccoli.

Der Film erzählt die Geschichte der jungen Pariser Arztgattin Séverine Sérizy, die ihrem bourgeoisen Alltag entflieht, indem sie sich sadomasochistischen Tagträumen hingibt.  Im Bett ihres Mannes zurückhaltend und geradezu frigide, träumt Séverine von Unterwerfung, öffentlichen Demütigungen und grausamen Züchtigungen. Durch Henri, einen Bekannten Ihres Mannes, gelangt sie schließlich an die Adresse eines exklusiven Bordells, in dem sie schon bald nachmittags als Belle de Jour (Schöne des Tages) zu arbeiten beginnt und eine sexuelle Erfüllung findet, die ihr in ihrer Ehe verwehrt bleibt. Abends kehrt sie als brave Bürgersfrau zu ihrem nichtsahnenden Gatten zurück.

Séverines skandalöses Doppelleben droht jedoch aufzufliegen, als sich ein junger Freier in sie verliebt und Henri sie unter Druck setzt…

Der als surrealistischer Regisseur bekannt gewordene Luis Buñuel (Ein andalusischer Hund in Zusammenarbeit mit Salvador Dalí) vermischt auch in seinem späten Meisterwerk Belle de Jour auf äußerst kunstvolle Weise die Ebenen von Traum und Realität. Die Übergänge zwischen Séverines erotischen Visionen und der Filmwirklichkeit sind fließend und optisch nicht voneinander zu unterscheiden. Buñuel inszeniert Catherine Deneuve in seinem exquisit von Yves Saint Laurent ausgestatteten Sittengemälde als kühle Blonde und zugleich so sinnlich und freizügig wie selten in ihrer langen Karriere. Nicht umsonst teilt Séverine ihren Vornamen mit dem masochistischen Helden aus Leopold von Sacher-Masochs Venus im Pelz. Kaum ein anderer Film zeigt sadomasochistische Fantasien in so edlen, ästhetischen Bildern und verknüpft auf derart meisterhafte Weise Gesellschaftskritik mit sinnlicher Erotik.

Der letzte Tango in Paris (1972)


In Bernardo Bertoluccis Skandalklassiker Der letzte Tango in Paris aus dem Jahr 1972 treffen sich der reife Amerikaner Paul (Marlon Brando) und die junge Französin Jeanne (Maria Schneider) zufällig bei der Besichtigung einer leerstehenden Wohnung und haben spontanen, heftigen Sex miteinander, ohne den Namen oder die Identität des anderen zu kennen. Als sie sich am nächsten Tag wieder begegnen, stellt Paul die Regel auf, dass sie sich auf die gleiche anonyme Weise weiterhin zum Sex in der Wohnung treffen werden.

Der Zuschauer erfährt, dass Pauls untreue Ehefrau kürzlich Selbstmord begangen hat und Jeanne in einer fragilen Partnerschaft mit dem experimentellen Jungfilmer Tom verbunden ist, der ihre Liebesbeziehung zum Gegenstand seines Filmprojekts macht.

Paul und Jeanne treffen sich derweil weiter zu philosophischen Gesprächen und sexuellen Intermezzi unterschiedlichster Couleur.

Als erst Jeanne und etwas später Paul begreifen, dass sie sich in einander verliebt haben, ist es zu spät und der Wunsch, ihre Amour fou in ein gesellschaftlich legitimiertes Liebesverhältnis zu überführen, ist zum Scheitern verurteilt. Bei einem biederen Tanzwettbewerb tanzen sie den letzten Tango, ehe ein Schuss fällt…

Wer kennt sie nicht, die berühmte Szene, in der sich Paul und Jeanne nackt und umschlungen auf dem Fußboden gegenüber sitzen und versuchen, einander kraft ihrer Gedanken zum Höhepunkt zu bringen? Die brutale anale Vergewaltigung mit dem berühmten Butterstück? Pauls Forderung an Jeanne, sich die Fingernägel zu kürzen, um ihn mit ihrer Hand zu penetrieren?

Die Legende des Films lebt von diesen Tabubrüchen – von Pauls vulgärer Sprache und der drastischen Darstellung roher, gewalttätiger Sexualität.

Die nahezu leere Wohnung in einer fiktiven Pariser Straße ist eine erotische Enklave, ein utopischer, zivilisationsferner Fluchtort, an dem bürgerliche Moralvorstellungen keine Gültigkeit haben. Hier regiert der Sexus in all seiner ursprünglichen Animalität und triebhaften Brutalität. Doch der Letzte Tango hat mehr zu bieten, als  eine brachiale sexuelle Utopie, die in ihrer drastischen Bildsprache als pornographisch gelten kann.  Er ist auch im höchsten Maße zivilisations- und gesellschaftskritisch, verhandelt Themen wie Kommunikationsverlust, Entfremdung, die patriarchalische Machtordnung und geschlechtliche Rollenbilder. In seiner an der rohen Bildsprache von Francis Bacon geschulten Ästhetik ist Der letzte Tango in Paris ein kontroverser Kunst-Porno im bestmöglichen Wortsinn.

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