Kunst-Pornos von Belle de Jour bis Nymphomaniac - Teil 3: Der Nachtportier & Die 120 Tage von Sodom

Wir bleiben in den 1970er Jahren, wenden und diesmal aber zwei Filmen zu, die als umstrittene Politpornos Furore machten. Beide entstanden Mitte der 1970er Jahre in Italien und wählten die Zeit, bzw. den Hintergrund des Nationalsozialismus als Kulisse für ihre kontrovers diskutierten Plots.

Der Nachtportier (1974)

Liliana Cavanis 1974 gedrehtes Erotikdrama Der Nachtportier mit Charlotte Rampling und Dirk Bogarde in den Hauptrollen, ist im Nachkriegswien der 1950er Jahre angesiedelt. Der ehemalige SS-Offizier Theo Aldorfer arbeitet als Nachtportier in einem Wiener Luxushotel, in dem eines Tages auch die Dirigentengattin Lucia mit ihrem amerikanischen Ehemann absteigt.

Theo und Lucia verbindet eine erschütternde gemeinsame Vergangenheit. Als junges Mädchen war Lucia in dem Konzentrationslager interniert, in dem Theo dem Wachpersonal angehörte und er machte die 14jährige zu seiner Gespielin. In einem sadomasochistisch geprägten Abhängigkeitsverhältnis entwickelte sich zwischen Täter und Opfer eine ambivalente Liaison zwischen Gewalt, Hörigkeit und Zuneigung.

Statt ihren Peiniger nun anzuzeigen, fühlt sich Lucia zu Theo hingezogen und beide lassen ihre sadomasochistische Beziehung erneut aufleben, allerdings unter veränderten Macht- und Dominanzverhältnissen.

Lucia verlässt sogar ihren Mann, um sich mit Theo ganz ihren sexuellen Exzessen hinzugeben, bis die Vergangenheit beide einholt und Schüsse fallen…

Seit seiner Veröffentlichung zählt Der Nachtportier zu den umstrittensten Werken seines Genres. Gleich nach Erscheinen von der Staatsanwaltschaft beschlagnahmt, setzten sich prominente Filmschaffende wie Luchino Visconti für die Freigabe ein und erreichten eine unzensierte Veröffentlichung als Kunstfilm.

Ist Der Nachtportier nun ein trashiger Gewaltporno, der die Gräueltaten des Dritten Reichs als unreflektierte Hintergrundfolie für triviale SM-Erotik missbraucht oder eine diffizile, sexualpathologische Forschungsreise in die düsteren Abgründe der menschlichen Natur? Vermutlich etwas von beidem. In jedem Fall handelt es sich um ein künstlerisch ambitioniertes, kontroverses Stück Filmgeschichte, das man einmal gesehen haben sollte, um trefflich darüber zu diskutieren.

Die 120 Tage von Sodom (1975)

Illustration zu Juliette, Wikipedia Commons (gemeinfrei)
Illustration zu Juliette, Wikipedia Commons (gemeinfrei)

Nicht weniger umstritten als Liliana Cavanis Der Nachtportier ist Pier Paolo Pasolinis 120 Tage von Sodom nach dem gleichnamigen Skandalbuch des berüchtigten Marquis de Sade. 1975 entstanden, handelt es sich um den letzten Film des italienischen Ausnahmeregisseurs vor seiner mysteriösen Ermordung im gleichen Jahr.

Pasolini verlegt die Handlung aus dem 17. Jahrhundert in die fiktive, von den Nationalsozialisten besetzte Italienische Sozialrepublik.

Angelehnt an die Erzählstruktur aus Dantes Göttlicher Komödie ist der Film in drei Kapitel unterteilt, den Höllenkreis der Leidenschaft, der Scheiße und des Blutes.

Vier Würdenträger des faschistischen Regimes (der Fürst, der Monsignore, der Präsident und der Bischof) lassen junge Frauen und Männer verschleppen, um sie auf einem abgeschotteten Anwesen gefangen zu halten und sich auf jede denkbare Art und Weise an ihnen zu vergehen. Die divenhafte Signora Vaccari, eine ehemalige Prostituierte, übernimmt dabei die Rolle der Hausdame, die die Gesellschaft mit erotischen Erzählungen unterhält. Eine Art Regelbuch gilt als strenger, geradezu liturgischer Leitfaden für die ebenso grausamen wie perversen Ausschweifungen, an deren Ende sadistische Folter und barbarischer Mord stehen.

Pasolinis Sade-Adaption ist das vermutlich umstrittenste Werk unserer Reise durch die Geschichte des erotischen Kunstkinos. Die zwangsprostituierten Knaben und Mädchen scheinen kaum volljährig zu sein, die an ihnen verübten Gräueltaten werden von Szene zu Szene sadistischer und perverser. Demütigungen, grausame Züchtigungen, Vergewaltigungen, Zoomimik und Koprophilie sind nur einige der Perversionen, die Pasolini in seinem Skandalfilm zur Darstellung bringt.

Moral, Ethik und Gesetz werden in dem rechtsfreien Mikrokosmos des Lustschlosses nicht bloß über Bord geworfen, sie werden umgekehrt und dadurch pervertiert.

Pasolinis Film ist eine schockierende, oft kaum erträgliche Parabel auf Faschismus, Machtmissbrauch und die Abgründe der menschlichen Natur. Befreit von moralischen Wertsystemen und gesellschaftlicher Ordnung, brechen sich in einem dekadenten Verfallsklima niederste Triebe und unfassbare Brutalität Bahn.

Die 120 Tage von Sodom ist sicher kein erotisches Vergnügen, aber dafür eine brachial konsequente Literaturverfilmung einer monströsen Dystopie über die „Anarchie der Macht“.

 

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