Kunst-Pornos von Belle de Jour bis Nymphomaniac - Teil 7: Die Träumer & 9 Songs

Nach längerer Unterbrechung geht es endlich weiter mit den Kunst-Pornos von Belle de Jour bis Nymphomaniac.

Die Träumer ist nach Der letzte Tango in Paris bereits der zweite Beitrag von Regie-Großmeister Bernardo Bertolucci in unserer Blog-Serie und steht seinem berühmten Vorgänger weder im Hinblick auf seinen Kunstanspruch, noch in seiner expliziten Bildsprache nach. Michael Winterbottoms 9 Songs ist eine Art filmgewordenes Experiment zwischen Musikfilm und Hardcore-Porno.



Die Träumer (2003)

Egon Schiele: Freundschaft, Wikimedia Commons (gemeinfrei)
Egon Schiele: Freundschaft, Wikimedia Commons (gemeinfrei)

Bernardo Bertoluccis Die Träumer, nach dem gleichnamigen Roman von Gilbert Adair, spielt vor dem Hintergrund der aufkommenden Studentenunruhen des Jahres 1968 in Paris. Das Pariser Geschwisterpaar Théo (Louis Garrel) und Isabelle (Eva Green) und ihr amerikanischer Freund, der schüchterne Austauschstudent Matthew (Michael Pitt), zählen zu den Cinephilen, die jeden Abend den Vorführsaal der  Cinémathèque Française bevölkern. Als deren Direktor Henry Langlois durch die de Gaulle-Regierung abgesetzt wird und sich die studentischen Proteste formieren, zieht sich das Trio in die Enklave der elterlichen Wohnung zurück, wo ihre ganz eigene Revolution stattfindet. Über harmlose Filmratespiele, die mit immer höheren Einsätzen verbunden sind, steigern sie sich in ein Spiel um Lust und Begierde, das die Grenzen bürgerlicher Moral überschreitet, ein Experiment der Entgrenzung, des Rausches und der Liebe. In ihrer eigenen, hermetisch abgeschlossenen Welt stellen sie eigene Regeln auf und entblößen dabei nicht nur ihre Körper, sondern auch ihre Seelen. Am Ende dringt der Lärm der Straße in die Wohnung ein und zwingt die Träumer aufzuwachen ...

 

Die Träumer ist in erster Linie ein Fest für Cineasten und eine poetische Liebeserklärung an die Magie des Kinos und die Kraft der Imagination, eine Hommage an das Jahr 1968, an die Jugend, die Rebellion und an Paris. Der Film gleicht einer kammerspielartigen Versuchsanordnung und wirkt dabei doch zutiefst authentisch. Aber Die Träumer ist auch ein sehr sinnlicher, ehrlicher Film über Adoleszenz, das Erwachen von und das Experimentieren mit dem eigenen Körper und seiner Sexualität und über das Erwachsenwerden. In expliziter, zwischen Dokumentarismus und Pornographie mäandernder Manier visualisiert Bertolucci gesellschaftlich tabuisierte Bereiche menschlicher Sexualität – Masturbation, Defloration, Menstruation und inzestuöse Geschwisterliebe.

 

 

9  Songs (2004)

Michael Winterbottoms 9 Songs handelt von der amerikanischen Austauschstudentin Lisa und dem Antarktis-Forscher Matt, die sich bei einem Rock-Konzert in der Londoner Brixton Academy kennenlernen und einen Sommer zusammen verbringen – mit Konzertbesuchen und hemmungslosem, experimentierfreudigem Sex in Matts Apartment. Doch bei einem Ausflug ans Meer gesteht Matt Lisa seine Liebe und bringt damit alles in Wanken…

Gesprochen wird wenig in Winterbottoms mit Laiendarstellern und improvisierten Dialogen realisiertem Experimentalfilm, dafür gibt es umso mehr Musik und Sex. Neun Konzerte angesagter Brit-Pop-Bands von den Dandy Warhols bis Franz Ferdinand wechseln sich mit neun äußerst realistischen Sexszenen ab, die pornographische Nahaufnahmen von Penetration und Ejakulation einschließen.

Der erklärte Beweggrund des Regisseurs, auszuloten, wie weit man im Kunst- und Mainstream-Kino gehen kann, ist zugleich die größte Schwäche des Films. Die konzeptionelle, episodenhafte und dialogarme Dramaturgie zusammen mit dem quasidokumentarischen Stil der expliziten Sexszenen lässt 9 Songs wie eine Versuchsanordnung wirken. Die Figuren bleiben schablonenhaft, einen Handlungsverlauf gibt es nicht. Sehenswert ist 9 Songs eigentlich nur wegen seiner Musik. Wer allerdings ein gehaltvolles Erotikdrama mit expliziter Bildsprache sucht, ist beispielsweise mit Intimacy weitaus besser beraten.

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