Kunst-Pornos von  Belle de Jour bis Nymphomaniac - Teil 8: Tagebuch einer Nymphomanin & Antichrist

Diesmal geht es in unserer Kunstporno-Serie mit Christian Molinas Tagebuch einer Nymphomanin um einen spanischen Hochglanz-Streifen und mit Lars von Triers zwischen Psychothriller und Horrortrip mäanderndem Sex-Drama Antichrist um den kontroversesten Beitrag zu den 62. Filmfestspielen von Cannes.


Tagebuch einer Nymphomanin (2008)

Christian Molinas Tagebuch einer Nymphomanin basiert auf dem gleichnamigen autobiografischen Roman der französisch-spanischen Schriftstellerin und Erotikforscherin Valérie Tasso.

Auf Empfehlung ihrer geliebten Großmutter (Geraldine Chaplin) führt Valérie penibel Tagebuch über ihre sexuellen Erfahrungen – und das sind eine Menge. Schon als Fünfzehnjährige entdeckt Valérie ihre Passion für die körperliche Liebe und für die Sexualität als reinstes aller Ausdrucksmittel.

Mit Ende zwanzig lebt sie als überzeugter Single in Barcelona und pflegt rein sexuelle Beziehungen u.a. zu dem charismatischen Araber Hassan und dem liierten Alex, der die Beziehung allerdings wegen Valéries sexueller Unersättlichkeit beendet. Als sie ihren Job verliert, reist sie zu ihrer schwerkranken Großmutter und spricht mit ihr über ihre Nymphomanie. Auf dem Totenbett gibt ihr ihre einzige Seelenverwandte den Rat, das Leben zu leben, wie man es will und nichts zu verpassen. Bei einem Bewerbungsgespräch verliebt sich Valérie vielleicht zum ersten Mal und geht eine nahezu platonische Liebesbeziehung mit Jaime ein, der sie mit Geschenken und Aufmerksamkeit überschüttet. Doch als Valérie eine neue Stelle annimmt, zeigt Jaime sein wahres Gesicht. Er ist krankhaft eifersüchtig, gewalttätig und lebt über seine Verhältnisse. Valérie verlässt ihn und treibt das gemeinsame Kind ab. Als sie erkennt, dass sie seit Monaten keinen Orgasmus mehr hatte, prostituiert sie sich in einem teuren Bordell. Eine Zeit lang findet sie Erfüllung in dieser Tätigkeit, doch dann wird sie von einem Kunden vergewaltigt und eine Kollegin stirbt...

 

Tagebuch einer Nymphomanin wurde 2009 für mehrere Gaudís, die spanischen Oscars, nominiert, bleibt aber vor allem ein edel fotografierter Hochglanz-Erotikfilm. Allein die schauspielerischen Leistungen und die Qualität der Dialoge lassen erkennen, dass es sich hier um eine Literaturverfilmung handelt.

 

 

Antichrist (2009)

Hans Baldung Grien, Wikimedia Commons (gemeinfrei)
Hans Baldung Grien, Wikimedia Commons (gemeinfrei)

Der Däne Lars von Trier (Idioten, Dogville, Nymphomaniac) ist der Regie-Exzentriker und das Enfant terrible des Kunst- und Autorenfilms. Sein mit Willem Dafoe und Charlotte Gainsbourg besetztes Werk Antichrist aus dem Jahr 2009 festigte von Triers Ruf als Skandalfilmer.

Antichrist gliedert sich in einen Prolog, vier Kapitel und einen Epilog. Während sich das namenlose Ehepaar im schwarz-weißen Prolog zu den Klängen von Händels Arie Lascia ch'io pianga leidenschaftlichem Sex hingibt, stürzt ihr kleiner Sohn aus dem Fenster in den Tod. Die Mutter versinkt daraufhin in einer schweren seelischen Krise, aus der der Ehemann (selbst Psychologe) sie therapeutisch zu befreien versucht. Schließlich besucht er mit ihr die Waldhütte 'Eden', in der seine Frau den vorangegangenen Sommer mit ihrem Sohn verbracht und an ihrer Dissertation über Hexenverfolgung gearbeitet hat. Der Wald präsentiert sich düster und unheilvoll, bevölkert von Todesboten wie einem Reh mit einer Totgeburt und einem sprechenden Fuchs (Zitat: »Chaos regiert!«), der sich selbst verschlingt. Während die Frau sich zunächst vor der Natur fürchtet, legen sich ihre Verzweiflung und ihre Ängste allmählich im selben Maße, in dem ihre Abneigung und ihre Aggression gegenüber ihrem Ehemann zunehmen. Auf dem Dachboden findet er Notizen für ihre Doktorarbeit, die sich mit Misogynie, Folter und Hexenverbrennung beschäftigen und entdeckt außerdem auf Fotos Hinweise darauf, dass seine Frau den kleinen Sohn systematisch misshandelt und gequält hat. Die fragile Situation eskaliert, als die Frau ihren Mann während des Geschlechtsakts niederschlägt…

Das existenzielle Ehedrama mündet in eine wahre Gewaltorgie voller sexueller, psychologischer und mythologischer Querverweise. Schuld und Sühne, Eros und Thanatos, das ewig Weibliche und das ewig Männliche, Natur und Kultur sind nur einige der spannungsgeladenen Gegensatzpaare, die von Trier in Antichrist kollidieren lässt. Dabei ist die kompromisslose Drastik der unfassbar grausamen sexuellen Folter- und Verstümmelungsszenen teils kaum zu ertragen.

 

Antichrist ist mit Sicherheit einer der gehaltvollsten und verweisreichsten, dazu einer der schauspielerisch beeindruckendsten und bildstärksten Beiträge unserer Reihe, aber vermutlich auch der nachhaltig schockierendste Film seines Genres. 

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