Kunst-Pornos von Belle de Jour bis Nymphomaniac - Teil 2: Die Geschichte der O & Im Reich der Sinne

Im zweiten Teil meiner Blogserie geht es um zwei erotische Filmklassiker der 1970er Jahre, die in ihrer Bildsprache kaum unterschiedlicher sein könnten.

Just Jaeckins Adaption des SM-Klassikers Geschichte der O bleibt weit hinter dem tabubrechenden Skandalon der literarischen Vorlage zurück, während der japanische Nouvelle-Vague-Regisseur Nagisa Oshima aus einem Tatsachenbericht einen der radikalsten Kunstpornos der Filmgeschichte macht.

Die Geschichte der O (1975)

Franz von Bayros, Wikimedia Commons (gemeinfrei)
Franz von Bayros, Wikimedia Commons (gemeinfrei)

1975 verfilmt der französische Modefotograf und Regisseur Just Jaeckin (Emmanuelle) mit Die Geschichte der O den Klassiker der sadomasochistischen Literatur mit Corinne Clery, Udo Kier und Anthony Steel in den Hauptrollen.

Wie in Dominique Aurys literarischer Vorlage aus dem Jahr 1954 erzählt der Film die Geschichte der devoten Pariser Modefotografin O, die sich von ihrem Geliebten René auf das Anwesen Roissy bringen lässt, um dort zusammen mit anderen Frauen zur gefügigen Lustsklavin ausgebildet zu werden.

O fügt sich in einer Melanche aus selbstlos-aufopfernder Liebe zu René und erfüllender Faszination in den fast klösterlich anmutenden Alltag aus Submission, Hörigkeit, erniedrigenden Vergewaltigungen, lustvollen Orgien und qualvollen Züchtigungen aller Art.

Nach ihrem Aufenthalt auf dem Lustschloss entspricht sie dem Wunsch Renés, fortan seinem ebenfalls dominant-sadistischen Halbbruder Sir Stephen anzugehören und verliebt sich in den älteren Mann. Zum Zeichen ihrer vollständigen Unterwerfung absolviert O eine noch härtere Erziehung auf dem Anwesen der Domina Anne-Marie und lässt sich schließlich mit eisernen Ringen und Sir Stephens Initialen dauerhaft als sein Eigentum brandmarken…

Just Jaeckins Romanverfilmung ist luxuriöses Ausstattungskino im schwül-pastellenen Weichzeichnerstil der 1970er Jahre mit schönen Menschen vor exquisiten Kulissen. Seine Geschichte der O ist ein ästhetisch komponierter Bilderreigen, ein erotisches Märchen, aber nie pornographisch. Jaeckins belässt es bei Andeutungen und überlässt vieles der Fantasie des Zuschauers. Dabei spart die Verfilmung nicht an Orgien, Vergewaltigungen und Auspeitschungen, vielmehr übersetzt sie die distanzierte Hochsprache der Autorin in uneindeutige, ästhetisch verklärte Traumbilder. Jaeckin verzichtet auf die explizit pornographische Darstellung von Geschlechtsverkehr, wenn O sich unter der unbarmherzig knallenden Peitsche windet, bleibt ihre makellose Haut unversehrt und in der Szene der Brandmarkung blendet die Kamera ab, ohne die grausame Gewalttat visualisiert zu haben.

Obwohl Jaeckin die Vorlage damit deutlich entschärft und ihr sogar eine eigene, versöhnliche Schlusssequenz anfügt, bleiben Handlung und Thematik doch ebenso kontrovers und die masochistische Heldenreise seiner Protagonistin ebenso ambivalent wie im Roman.

In Deutschland, Großbritannien und einigen weiteren Ländern war der Film bis vor wenigen Jahren indiziert, darf aber inzwischen wieder in ungekürzter Schnittfassung verbreitet werden.


Im Reich der Sinne (1976)

Ein erotischer Filmklassiker ganz anderer Radikalität ist Nagisa Oshimas Skandalfilm Im Reich der Sinne aus dem Jahr 1976.

Nach einer wahren Begebenheit aus dem Japan der 1930er Jahre erzählt Oshima die Geschichte des Familienvaters Kichizo und der Prostituierten Sada, die einander in obsessiver Leidenschaft verfallen. Kichizo verlässt seine Familie, um sich zusammen mit Sada ganz seiner Lust hinzugeben. In einer von der Außenwelt mehr und mehr abgeschotteten Enklave überschreiten sie gesellschaftliche wie sexuelle Tabus und loten ihre Geschlechtlichkeit in allen denkbaren lust- bis schmerzvollen Spielarten aus.

Während der wohlhabende Kichizo zunächst als dominant-fordernder Alphamann auftritt, verfällt er zunehmend der erotischen Anziehung und der aggressiven Sexualität seiner Liebesdienerin, was sich letztlich bis zur Hörigkeit und zur Selbstaufgabe steigert.

Ihre gemeinsame sexuelle Obsession findet schließlich ihren grausam-blutigen Höhepunkt in einem todbringenden Liebesakt und einer barbarischen Gewalttat.

Als Im Reich der Sinne auf der Berlinale 1976 seine Kinopremiere feiern sollte, kam es zum Eklat, indem der Film wegen des Vorwurfs der Pornografie kurzfristig von der Staatsanwaltschaft beschlagnahmt wurde. Erst zwei Jahre später konnte er mit dem Prädikat „besonders wertvoll“ in den deutschen Kinos anlaufen.

Ihren Ruf als Skandalfilm und den hartnäckigen Vorwurf der Pornografie verdankt die japanisch-französische Co-Produktion ihrer bis dahin im seriösen (Arthouse-)Kino nicht gekannten expliziten Darstellung von Sexualität und Gewalt. Ob Geschlechtsakt, Erektion oder Blowjob, Oshimas Kamera hält in tabulosen Close-Up-Aufnahmen unbarmherzig drauf.

Berühmt-berüchtigt sind die Szene, in der sich Sada auf den Wunsch Kichizos hin ein gekochtes Hühnerei einführt und dieses später wieder herauspresst und die schockierende Schluss-Sequenz, in der die offenbar unter Schock stehende Heldin mit ihrer blutigen Trophäe durch die Straßen irrt.

Oshima verlangt seinen Darstellern und seinem Publikum einiges ab. Endlos, ermüdend bis schmerzhaft reihen sich die sexuellen Eskapaden von Kichizo und Sada aneinander, steigern sich in kleinen Schritten bis zur unumgänglichen Katastrophe.

Sinnlich und erotisch ist diese manische sexuelle Tour de force nur punktuell, großes Kino allerdings allemal. Nagisa Oshima bettet sein kompromissloses Sex-Drama in hochartifizielle, betörend schöne Bilder von exotisch-fernöstlicher Farbenpracht.

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